Die Herausforderung
Entwicklung und Herstellung zuverlässiger, dichter, kundenspezifischer Kühlstäbe, um innerhalb des Detektors am Large Hadron Collider Temperaturen von –40 ˚C zu erreichen.
Lösung
Zusammenarbeit mit Anwendungstechnikern von 3D Systems zur Optimierung des idealen Designs für die additive Fertigung und zur Umsetzung einer limitierten Produktion durch 3D-Druck in Titan.
Ergebnisse
- Wandstärke von 0,25 mm mit bestätigter Dichtheit
- Ebenheit mit einer Genauigkeit von 50 Mikrometern über die gesamte Länge des Teils
- Konstruktions- und Produktionsstrategie für eine kosteneffektive Produktion von Teilen mit hoher Komplexität
- Gewinner des LHCb Industry Award im Jahr 2019
Einhundert Meter unter den Bergen der Schweiz und Frankreichs befindet sich der Large Hadron Collider (LHC) – der weltweit größte und leistungsfähigste Teilchenbeschleuniger, der jemals gebaut wurde. Diese beeindruckende Konstruktion wird von der Europäischen Organisation für Kernforschung (CERN) verwendet, um Hochenergiephysikforschung im Rahmen von vier Schlüsselexperimenten durchzuführen.
In der Anlage werden Partikel auf einer Strecke von 27 Kilometern auf hohe Geschwindigkeiten beschleunigt. Entlang dieser Strecke befinden sich vier Detektoren für große Partikel, durch die Messwerte ermittelt werden. Innerhalb des Detektionsvolumens für das LHCb-Experiment muss ein langer und extrem schmaler Photonendetektorstreifen auf -40 ˚C abgekühlt werden, um die Reaktion aufrechtzuerhalten und eine genaue Untersuchung zu ermöglichen. Dieser Streifen ist rund 140 Meter lang, weniger als zwei Millimeter breit und an 3D-gedruckten Titan-Kühlstäben befestigt, die 100 % des erforderlichen Kühleffekts erzielen.
Diese Kühlstäbe sind das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen Nikhef, dem niederländischen nationalen Institut für subatomare Physik und der 3D Systems Application Innovation Group und wurden im Direktmetalldruck (Direct Metal Printing, DMP) von 3D Systems hergestellt. Für diesen Beitrag zur erfolgreichen Aufrüstung des Experiments wurde 3D Systems mit dem 2019 LHCb Industry Award ausgezeichnet.
Kühlung auf -40 ˚C auf begrenztem Raum
Partikelkollisionen innerhalb des LHC finden im Inneren von Detektoren statt. Hierbei handelt es sich um äußerst ausgeklügelte Systeme, die es ermöglichen, Informationen über grundlegende Eigenschaften der Partikel zu sammeln. Moderne Detektoren bestehen aus Schichten von Subdetektoren, bei denen es sich um Ortungsgeräte wie LHCb SciFi Tracker – kurz für „Scintillating Fibers“ oder Szintillations-Fasern – handelt, die den Weg eines Teilchens anzeigen. Mit anderen Subdetektorsystemen ist es auch möglich, die Energie und Strahlung eines Teilchens zu messen.
Antonio Pellegrino arbeitet bei Nikhef und ist einer der Leiter des SciFi-Tracker-Projekts am CERN im Rahmen des Large-Hadron- Collider-beauty-Experiments (LHCb). Er erklärt, dass die Komplexität des Kühlsystems auf mehrere unvermeidliche Faktoren zurückzuführen ist: die unglaublich geringen räumlichen Abmessungen, in die die Kühlstäbe passen müssen; die Wärme, die innerhalb dieses geringen Raumes abgeführt werden muss; die Gleichmäßigkeit der Temperatur, die auf der gesamten Länge des Photonendetektorstreifens erforderlich ist; und die Ebenheit der Kühlstäbe, die notwendig ist, um die Effizienz und Auflösung des Detektors zu gewährleisten. Laut Pellegrino bedeutet dies, „dass die Kühlkonstruktion extrem effizient sein muss.“
Rob Walet, Projektingenieur bei Nikhef, begann die Entwicklung der Kühlstange mit der Konstruktion eines Teils, das die Leistungserfordernisse perfekt erfüllte. „Dieses Design war wunderbar“, erklärt Pellegrino, „aber es konnte nicht auf die übliche Weise hergestellt werden.“ Ein Hauptproblem, das die Herstellung mit konventionellen Mitteln komplizierte, war die erforderliche geringe Wandstärke. Um maximale Wirksamkeit zu erzielen, ist es wichtig, dass sich zwischen dem Kühlmittel und der zu kühlenden Oberfläche nur ein Minimum an Material befindet. Maschinell konnte die erforderliche Dünne nicht über die gesamte Länge des Teils (263 mm) erzielt werden.
Nach ersten Experimenten mit manueller Prototypenerstellung stellte CERN schnell fest, dass ein manueller Ansatz für die Produktion nicht praktikabel war. Ein manueller Ansatz war nicht nur arbeitsintensiv, sondern auch schwer reproduzierbar. Aufgrund dieser Erkenntnis begann das Team, andere Optionen zu recherchieren und die Möglichkeiten des 3D-Metalldrucks zu untersuchen.
Zusammenarbeit zur Optimierung der Produktion mit additiver Fertigung
Das CERN hatte zwar die Konstruktion der Kühlstäbe für die endgültige Funktion optimiert, jedoch war die Konstruktion noch nicht für die Erfordernisse der additiven Fertigung optimiert. Das CERN war sich dieses Schwachpunkts bewusst und tat sich deshalb schwer, den richtigen Herstellungspartner zu finden. „Es kamen nur ein paar Unternehmen in Frage. Letztendlich entschieden wir uns für 3D Systems, weil wir davon überzeugt waren, dass die mit dieser Aufgabe betrauten Ingenieure unser Design tatsächlich in etwas verwandeln konnten, was produziert werden konnte“, so Pellegrino.
Für die schnelle Umstellung auf die additive Fertigung vertraute das CERN auf die Fachkenntnisse in der Anwendungstechnik des Customer Innovation Center (CIC) von 3D Systems in Leuven (Belgien). Die CIC von 3D Systems sind globale Einrichtungen, die mit umfangreichen Kenntnissen und neuen Technologien die additive Fertigung für Anwendungen in den Bereichen Hochtechnologie, Luft- und Raumfahrt, Gesundheitswesen, Transport und Motorsport unterstützen. Die CIC von 3D Systems bieten Beratung und Unterstützung in jeder Projektphase an – von der Entwicklung von Anwendungen und vorbereitenden technischen Schritten über die Validierung von Geräten und Prozessen und die Teilequalifizierung bis hin zur Produktion.
Da 3D Systems sowohl als Hersteller als auch als Anwender mit additiven Fertigungslösungen vertraut ist, verfügt das Unternehmen über eine einzigartige Feedbackschleife, von der Anwendungstechniker und Maschinenbauingenieure profitieren. Diese offene Kommunikation treibt die ständige Anpassung der Software und Hardware und der Materialien und Druckverfahren von 3D Systems voran und ermöglicht verbesserte Ausrüstungsmittel und bessere Ergebnisse.
In einem iterativen Prozess, der das Design, den Druck und die Überprüfung umfasste, modifizierten die Ingenieurteams von CERN und 3D Systems gemeinsam das Design für die Kühlstäbe, sodass die Erfordernisse für die Fertigung ebenso wie die endgültigen funktionalen Erwartungen erfüllt wurden.
Die folgenden Leistungserfordernisse standen dabei im Mittelpunkt:
- Wandstärke. Eine wichtige Spezifikation des Teils war eine Wandstärke von 0,25 mm. Erreicht wurde dies durch die hohe dimensionale Genauigkeit der DMP-Maschinen von 3D Systems sowie durch das hausinterne Fachwissen von 3D Systems bei der Einstellung der Laserparameter im Hinblick auf die Stabilität und Breite des Titanpulver-Schmelzbades.
- Dichtheit. Da die Kühlstäbe dicht sein mussten, fiel die Wahl auf den Werkstoff LaserForm® TiGr23, eine hochfeste Titanlegierung. Der spezielle Parametersatz, den 3D Systems für das Projekt entwickelte, trug ebenfalls dazu bei, dieses Ziel zu erreichen.
- Ebenheit. Die Ebenheit des 263 mm langen Kühlstabs musste auf der gesamten Länge eine Genauigkeit von 50 Mikrometer aufweisen. Dies erreichten die Anwendungsingenieure von 3D Systems, indem sie verschiedene Designstrategien für die additive Fertigung anwandten und z. B. eine vertikale Druckausrichtung für den Druck empfahlen.
Zuverlässige Fertigung mit additiver Metallfertigung
Die Optimierung des Kühlstabdesigns für die Produktion war entscheidend, um die erforderliche Anzahl von mehr als 300 Präzisionseinheiten anzufertigen. Aufgrund der extremen Komplexität der Komponenten besteht der größte Vorteil des 3D-Drucks für die Produktion laut Pellegrino in der Kosteneffizienz des Verfahrens sowie in der Fähigkeit, die ungewöhnlichen Toleranzen zu erreichen, die für den Erfolg der Endanwendung entscheidend sind. „Wir benötigten eine zuverlässige Methode, um das passende Teil und die erforderliche Leistung zu erhalten“, so Pellegrino.
Zusätzlich zu den gemäß ISO 9001, ISO 13485 und AS/EN9100 zertifizierten Einrichtungen kann 3D Systems auf Hunderte von kritischen Anwendungen in allen Branchen zurückgreifen, in denen Qualität und Leistung von höchster Bedeutung sind. Der systematische Ansatz von 3D Systems beim Übergang und bei der Skalierung von Prototypen bis hin zur Produktion gewährleistete ein optimiertes Verfahren für die additive Fertigung von qualifizierten Teilen.
Bei den folgenden Fertigungsaspekten stand 3D Systems unterstützend zur Seite:
- Designstrategie. Der endgültige Kühlstab wurde als ein Satz von gespiegelten A- und B-Komponenten konzipiert, die zu einem kompletten Teil zusammengeschweißt werden. Dieser Prozess erlaubte es CERN, mit minimalem Montageaufwand die erforderlichen Merkmale, Abmessungen und Qualitätsziele zu erreichen.
- Druckausrichtung. Bei der additiven Fertigung kann sich die Ausrichtung eines Teils auf der Bauplattform auf die Support-Anforderungen auswirken. Basierend auf der Geometrie des CERN-Designs empfahlen die Ingenieure von 3D Systems eine vertikale Ausrichtung, damit ein möglichst selbsttragendes Teil entsteht.
- Teilereinigung. Das Design des Kühlstabs wies parallele Kühlkanäle auf, was dazu führen kann, dass die Steuerung und vollständige Entfernung des Pulvers erschwert ist. Aufgrund umfangreicher Erfahrungen in der Nachbearbeitung war 3D Systems in der Lage, ein Reinigungsprotokoll zuzuweisen, das eine gründliche Beseitigung des Materials aus den Teilen gewährleistet.
Belastungstests lassen erkennen, dass die Kühlstäbe eine voraussichtliche Lebensdauer von mindestens zehn Jahren haben. Laut Pellegrino wird sich die Zuverlässigkeit der Teile erst im Laufe der Zeit herausstellen. Er geht jedoch davon aus, dass sich die Kühlstäbe aufgrund des geringeren Montageaufwands und der Möglichkeit, eine optimierte Form in einem einzigen Material zu erstellen, als zuverlässiger erweisen werden.
Erforschung zukünftiger Möglichkeiten für die additive Fertigung
Nach Einschätzung von Pellegrino profitierte das Team am CERN vor allem davon, dass mithilfe der additiven Fertigung hartnäckige Probleme gelöst werden konnten, und der Erfolg dieses Projekts hat inzwischen auch Interesse bei Kollegen geweckt, die sich bisher noch nicht mit der additiven Fertigung befasst haben. „Der 3D-Druck erschließt tatsächlich neue Möglichkeiten“, so Pellegrino. „Man kann damit wirklich viel erreichen.“
Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen bei der Zusammenarbeit mit 3D Systems hat Pellegrino bereits neue Projekte für die Anwendungsexperten des Unternehmens in die Wege geleitet.